Im November vergangenen Jahres hatte ich noch über 5 Wochen Resturlaub. Was lag also näher, als all diese Zeit zum Surfen zu nutzen. Dies war aufgrund meines Schulterbruchs bisher eh viel zu kurz gekommen. Genau mit diesem Ziel packte ich meinen geliebten Surfbus, hatte aber – absichtlich – noch keinen fixen Plan wo es hingehen sollte. Ich wollte kurzfristig auf Basis der besten Windbedingungen entscheiden, um auch möglichst viel Zeit auf dem Wasser verbringen zu können.
Basierend auf den Windstatistiken für diese Jahreszeit spekulierte ich auf Portugal, Tarifa oder Marrokko und ich begann mich auf die Zeit in der angenehm warmen Herbstsonne Südeuropas oder Nordafrikas zu freuen. Die Abfahrt rückte immer näher und meine Vorfreude auf die warme Herbstsonne sank zusehends: Die für diese Jahreszeit normalerweise zuverlässigen Windsysteme brachen beinahe komplett zusammen und die Wind- und Wellenvorhersage sah katastrophal aus. Somit waren Spanien, Portugal und Marrokko vorerst aus dem Rennen.
Doch wohin sollte stattdessen die Reise gehen? Stundenlange wühlte ich mich durch Wetterkarten, meteorologische Vorhersagen und maritime Forecasts ehe mir klar wurde: Auf dem Festland Europas würde ich kein zuverlässiges und vor allem beständiges Windsystem erwischen. Für eine Fernreise in Richtung Brasilien oder Südafrika war ich zu spät dran. Was also tun? Nochmal checkte ich die Wetterkarten und kam zum selben Ergebnis: kein Wind in ganz Europa! Ganz Europa? Nein! Über dem Atlantik baute sich ein massives Tiefdrucksystem mit Ziel Irland und Schottland auf. Da dies das zur Zeit einzig vielversprechende Windsystem zu sein schien, war meine Reiseziel somit alternativlos.
Irland und Schottland sollten, beziehungsweise mussten es also werden. Über Tiree, einen angeblichen Weltklasse-Spot im Norden Schottlands hatte ich mal gelesen, über Irland und vor allem die Brandon Bay erst recht, aber mehr wusste ich über das Surfen und die lokale Szene auch nicht. Intensive Internetrecherchen versprachen traumhafte Bedingungen in wunderschöner Natur. Doch natürlich musste ich mich schnell vom Gedanken an eine angenehm warme Herbstsonne verabschieden und mich genauso schnell auf das nasskalte Wetter der britischen Inseln einstellen. Vorfreude sah in diesem Moment anders aus. Nachdem die kurzen Hosen im Gepäck gegen Thermo-Unterwäsche und Winterjacken getauscht waren, ging es los.
Mein erstes Ziel war Calais, um mit der Fähre nach Dover überzusetzen. Dort wollte ich entscheiden, ob es Richtung Schottland oder Irland gehen sollte. Die ganze Fahrt über schüttete es in Strömen und um Stuttgart herum schneite es sogar, als wollte mich das Wetter zum Umkehren bewegen. In der Tat krochen erste leichte Zweifel in mir hoch, ob meine Entscheidung tatsächlich die richtige war. Denn Erholungsurlaub würde es ganz im nasskalten Norden ganz sicher nicht werden. In der Früh um fünf Uhr bei immer noch strömendem Regen erreichte ich Calais und setzte mit der nächsten Fähre direkt nach Dover über. Die See im Ärmelkanal war vom Wind aufgepeitscht und im Halblicht des neuen Tages wirkten die wolkenverhangenen Felsen von Dover trist und unfreundlich. Nicht gerade der Stimmungsaufheiterer den ich gebraucht hätte.
Währenddessen checkte ich weiter alle Vorhersagen und bald darauf war mir klar, Schottland – genauer gesagt Tiree – sollte es werden. Tiree ist eine beinahe winzige Insel der inneren Hebriden mit gerade einmal 600 Einwohnern. Die kleine Insel liegt in den Ausläufern des Golfstroms und fängt den meisten westlichen Swell des Atlantiks ein. Da die Insel sehr klein ist, gibt es für jede Windrichtung einen geeigneten Spot. Mit einem Ziel vor Augen verließ ich das Schiff, ehe ich jäh vom Zoll gestoppt wurde. Ein freundlich, aber skeptisch dreinblickender Beamter öffnete meine Tür und verlangte meine Papiere. Als er den Grund und den Ziel meiner Reise erfragte und ich mit „Windsurfen in Schottland“ antwortete, fiel der gute Mann vom Glauben ab. Kurze Zeit später begutachteten 3 Beamte meinen Bus, hielten sie meine Geschichte doch für absolut unglaubwürdig. Welcher Verrückte kommt im November freiwillig den weiten Weg von München nach Schottland, um auf einer gottverlassenen Insel Surfen zu gehen? Erst der Anblick meiner zahlreichen Surfbretter und Segel überzeugte sie vom Gegenteil und mit einem „You are fucking crazy, man!“ verabschiedeten sie sich von mir.
Vorsichtig reihte ich mich in den Linksverkehr ein und fuhr gemächlich Richtung Norden. Hinter London beschloss ich, die Fähre für den nächsten Tag nach Tiree zu buchen. Über die Servicehotline wollte ich die Fähre buchen, als ich die erste böse Überraschung erlebte: Die Fähre für den kommenden Tag war restlos ausgebucht. Damit hatte ich im November nicht gerechnet. Wieder kamen Zweifel auf, ob es tatsächlich die richtige Entscheidung war, hierher zu kommen. Nach Plan lief es auf jeden Fall bisher nicht. Letzten Endes buchte ich einen freien Platz auf der Fähre in drei Tagen und versuchte das Beste aus der Situation zu machen. Auf dem Weg Richtung Norden hätte ich nun zumindest ausreichend Zeit, den Highlands einen Besuch abzustatten und wandern zu gehen.
So setzte ich meine Fahrt Richtung Norden fort und konnte mich zusehends wieder beruhigen. Da es endlich auch zu Regnen aufgehört hatte, drückte auch das Wetter nicht mehr so auf meine Stimmung.
Da ich aufgrund meiner Pausen langsamer war als erwartet, war es Zeit für mein Nachtlager. Wie üblich auf Durchreise wollte ich mich auf einen Autobahnrastplatz stellen und ein paar Stunden schlafen, doch hier wartete schon die nächste böse Überraschung: Autobahnparkplätze sind in Großbrittanien kostenpflichtig, sofern man länger als zwei Stunden stehen bleibt. Eine erholsame Nacht sieht anders aus und ich war nicht bereit für einen Parkplatz neben der Autobahn 15 Pfund zu berappen! So suchte ich lange auf einer Landstraße nach einer ruhigen und vor allem kostenlosen Parkbucht. Endlich gefunden, legte ich mich sofort ins Bett und fiel in einen unruhigen Schlaf.
Die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages weckten mich und ich wachte leicht gerädert auf. Unter meiner dicken Decke war es mollig warm, doch mein Bus kühlte über Nacht deutlich aus und es fühlte sich richtig ungemütlich an. Da waren sie wieder: diese Zweifel! War es tatsächlich richtig herzukommen? Seit über 2 Tagen war ich zu diesem Zeitpunkt schon unterwegs, doch Vorfreude oder gar ein Urlaubsgefühl wollte sich noch nicht einstellen.
Auf der anderen Seite war ich nun aber schon einmal da und so hieß es für mich, weiterhin das Beste aus der Situation zu machen. Ich fuhr kurz darauf weiter und schon bald war ich nördlich von Glasgow in den ersten Ausläufern der Highlands unterwegs. Da ich mir keinen richtigen Plan für die Tage zurecht gelegt hatte, googelte ich nach schönen Unternehmungen für die kommenden Tage und entschloss mich, meine Reise in Schottland stilecht mit dem Besuch einer Destillerie zu beginnen. Nördlich von Glasgow liegt die Glengoyne Destillerie, die zu den schönsten Destillen Schottlands gezählt wird. Was könnte meine Zweifel besser hinabspülen, als ein guter Tropfen zwölfjähriger Single Malt.
So fand ich mich schon um kurz nach zehn Uhr morgens in einer Führung durch diese wunderschöne Destillerie wieder. Auch der Guide und die anderen Teilnehmer machten große Augen über meinen Plan im November auf den Hebriden surfen zu gehen und so stand ich teilweise mehr im Fokus als das „Wasser des Lebens“ wegen dem wir hier waren. Während der Tour klarte auch das erste Mal der Himmel über Schottland auf und gepaart mit dem Whisky, besserte sich dank der Sonne meine Laune von Minute zu Minute zusehends.
Nach der Führung ging es weiter zum nahegelegenen Loch Lomond. Am ruhigen Ostufer des schönsten Sees Schottlands fand ich einen kleinen, aber beschaulichen Campingplatz und beschloss, hier den restlichen Tag und die Nacht zu verbringen. Leider zog es in der Zwischenzeit wieder zu und als ich das Ufer bei einem ausgiebigen Spaziergang erkundete, begann es wieder einmal zu regnen. So verkroch ich mich am Spätnachmittag nach einer heißen Dusche in meinen Bus und genoss anschließend noch das difusse Licht der untergehenden Sonne.
Der nächste Tag versprach deutlich besseres Wetter und ich plante die erste richtige Wanderung in den Highlands. Wohin es mich verschlug und ob ich meine Zweifel endgültig abschütteln konnte, erfahrt ihr im zweiten Teil meines Reiseberichts. Bleibt gespannt!