Schottland Roadtrip Teil IV: Das Glück am Ende des Regenbogens

Da war ich also: Tiree! Eine kleine Hebriden-Insel mit gerade einmal 600 Einwohnern, dem zigfachen an Kühen und Schafen und nur wenigen Quadratkilometern Land, eingerahmt in die endlosen weiten des atlantischen Ozeans. Beinahe eine Woche hatte es mich gekostet, diese kleine Insel zu erreichen und in dem Moment als ich die Fähre verließ, war ich unendlich glücklich.  Angekommen am Arsch der Welt!

Ich verließ den Hafen und fuhr mit dem Bus über die kleine Insel, um mir einen ersten Überblick zu verschaffen. Bei einer Länge von 19 und einer Breite von gerade einmal 5 Kilometern, sollte dies weiter nicht schwierig sein…dachte ich! In der Tat ist das Straßennetz auf Tiree am Anfang sehr verwirrend, da alle Straßen kreisförmig angelegt sind, die ineinander übergehen. Somit gibt es auf dieser Insel überproportional viele Kreuzungen und Querverbindungen. Nach einiger Zeit, hat man den Dreh aber leicht raus.

Nach kurzer Zeit kam ich an der Hauptstadt Scarinish und dem größten Supermarkt der Insel vorbei. Dieser ist sieben Tage die Woche von 7 Uhr in der Früh bis 22 Uhr abends geöffnet…für 600 Einwohner. Schlangen an der Supermarktkasse sind also nicht zu erwarten. Ansonsten besteht die Hauptstadt gefühlt aus gerade einmal fünf Häusern, einer Bank und dem Postbüro. Generell sind auf Tiree die Häuser sehr weit verstreut und wirkliche Zentren oder Dorfkerne gibt es nicht. Die Leute hier scheinen die Abgeschiedenheit zu genießen und ziehen dementsprechend auch einen gehörigen Abstand zu den Nachbarn vor.

Ich fuhr weiter über die Insel, die sich eigentlich als eine riesengroße Kuh- und Schafsweide entpuppte. Überall stand unzähliges Vieh direkt neben der schmalen, einspurigen Straße und mehr als einmal musste ich mir den Weg freihupen. Leider wurde Tiree an diesem Tag seinem Ruf als sonnigster Platz Großbritanniens nicht gerecht, denn die Wolken hingen tief und grau über der Insel und der typische britische Nieselregen machte meine ersten Strandspaziergänge ungemütlich. Da heute Flaute angesagt und somit an Surfen nicht zu denken war, erkundete ich nacheinander die berühmt-berüchtigten Spots der Insel.

Andere Windsurfer waren nicht zu sehen, doch dafür machte ich das schlechte Wetter an diesem Tag verantwortlich und malte mir aus, am morgigen Tag bei perfekten Sideoff-Bedingungen mit einigen anderen Verrückten die Wellen zu schlitzen. Dafür traf ich einige Einheimische und wurde überschwänglich empfangen und begrüßt.

Generell erlebte ich auf Tiree in den kommenden Wochen einige Lektionen in Bezug auf Klischees: Natürlich trägt jeder, auch ich, ein ganzes Paket an Stereotypen und Klischees mit sich herum und so stellte ich mir die Einwohner von Tiree eher verschlossen, konservativ und einfach gestrickt vor. Doch genau das Gegenteil schien der Fall zu sein. Obwohl (vielleicht aber auch gerade weil) Sie auf einer der kleinsten Inseln wohnen, sind die Einwohner Tirees äußerst kosmopolitisch und belesen. Fast alle mit denen ich sprach, hatten Deutschland und sogar München schon besucht und waren auch politisch sehr EU-freundlich und generell liberal eingestellt. Dies überraschte mich sehr und strafte meine Stereotypen Lügen.

Doch weiter im eigentlichen Text: An diesem tristen Tag und nach meinem schnell gewonnenen Überblick über die Insel, stand ich also da. Dafür war ich also hergekommen? All die Mühen und all der lange Weg für diese kleine poppelige Insel? Meine anfänglich Euphorie endlich hier zu sein, wich einmal mehr der Skepsis, die mich den gesamten Urlaub zu begleiten schien. Doch ein Blick auf die Forecast stimmte mich optimistischer. Für die nächsten zehn Tage waren permanent perfekte Windsurfbedingungen angesagt. Wind aus Südsüdwest versprach zudem Sahnebedingungen für den berüchtigten Weltklasse-Spot „The Maze“.

Also versuchte ich kein Trübsal zu blasen, sondern überlegte mir, wie ich die kommenden Tage oder vielleicht sogar Wochen hier verbringen wollte. Ich könnte auf der Insel offiziell und legal campen, doch verfügen die Weiden über kein Frischwasser oder Strom. Da meine Standheizung defekt war, war dies somit nur suboptimal. Eine kurze Rechereche im Internet und einen Anruf später, entschied ich mich dafür, mich im Millhouse Hostel einzuquartieren. Das einzige Hostel der Insel war zur Zeit nicht besetzt und so hätte ich ein komplettes Haus, fließend Wasser und Strom für mich. Und die Aussicht nach intensiven Surfsessions ausgiebig heiß duschen zu können, war auch nicht die schlechteste!

So bezog ich am Nachmittag mein Quartier und fiel am Abend nach einem Film und einem genüsslichen Glas Whisky in den Schlaf.

Die Forecast hatte nicht zu viel versprochen und am kommenden Tag feuerte der Südwestwind aus allen Rohren. Noch einmal fuhr ich über die Insel, um mir nun einen realistischen Eindruck von den Spots verschaffen zu können und auch die anderen Windsurfer kennenzulernen. Den realistischen Eindruck gewann ich, aber wo waren die anderen Windsurfer? Wo zum Teufel trieben sie sich rum? Ich schien komplett alleine zu sein am Windsurf-Mekka Großbrittaniens.

Alles wundern half nichts und ich fuhr zu „The Maze“, versprach dieser Spot heute doch episch zu werden. Ich packte mein 4.2er-Segel und mein kleines Board und machte mich auf einen langen, sehr langen Weg über Sanddünen und Steine, um zum Spot zu gelangen. Nach schier endloser Lauferei durch lockeren Sand, war ich endlich am eigentlichen Spot angekommen. Die Arme waren schon lang und ich fragte mich, woher ich nun die Kraft zum Surfen nehmen sollte. Ich baute mein Material auf und betrachtete den Spot genauer:

The Maze ist ein circa 300 Meter langer Sandstrand, der auf beiden Seiten von schwarzen, schroffen Klippen eingerahmt ist, die weit ins Meer hinaus ragen. Die Wellen klatschten bedrohlich gegen die Felsen und schwarze Wolken trieben über den Novemberhimmel. Ich schaute mich noch einmal um: immer noch alleine und keine Menschenseele weit und breit! Durchatmen und los starten! Ich begann meine Session und versuchte mich an den Spot zu gewöhnen.

Doch egal wie sehr ich mich anstrengte, ich konnte die Session einfach nicht genießen. Mir war bewusst, dass ich komplett alleine auf einer kleinen schottischen Insel surfte, mitten im atlantischen Ozean surfte und Hilfe im Fall des Falles somit nicht zu erwarten war. Noch nie bremste mich eine derartige Erkenntnis so sehr aus wie jetzt gerade und ich fuhr defensiv und beinahe ängstlich durch die sich formenden Wellen. Die beeindruckende Szenerie des Spots und den Wellen die gegen die schwarzen Felsen klatschten, machten es mir nicht gerade leichter, mich hier wohlzufühlen. Zu allem Überfluss nahm nun auch der Wind noch weiter zu und ich war mit meinem 4.2er-Segel heillos überpowert.

Keine Stunde nachdem ich begonnen hatte, hieß es für mich: Segel streichen! So hatte ich mir das hier auf Tiree nicht vorgestellt. Frustriert riggte ich noch am Strand ab und machte mich auf den Rückweg. Nun hieß es, all mein Material gegen den Wind zu tragen und erschöpft kam ich am Bus wieder an. Zu diesem Zeitpunkt war meine Laune am absoluten Tiefpunkt. Ich hatte mir soviel von Tiree versprochen, hatte ewig gebraucht, um überhaupt hierher zu kommen und nun diese herbe Enttäuschung. Dieser Urlaub schien wie verhext zu sein.

Nachdem ich gepackt hatte, stellte ich mich eine gefühlte Ewigkeit unter die heiße Dusche und sinnierte über das weitere Vorgehen. Ich wollte nicht so schnell aufgeben und die nächsten Tage versprachen ausreichend Möglichkeiten dafür, es besser zu machen. Nochmal fuhr ich über die Insel und in der Flachwasserbucht der Insel, der Gott Bay, sah ich einen orangenen VW-Bus stehen. Ich kam näher und sah Windsurfmaterial herum liegen. Gleichgesinnte!

Ich stieg aus, blickte auf das Schweizer Kennzeichen und klopfte an. Zwei Jungs grinsten mich an, die es sich gerade bei Tee und Keksen gemütlich gemacht hatten. Wir unterhielten uns lange und ich erfuhr, dass die beiden schon seit knapp zwei Wochen in ihrem Camper auf Tiree ausharrten. Respekt dafür! Die beiden surften erst seit vergleichsweiser kurzer Zeit und hatten in Wellen noch keine Erfahrung. Darum hielten sie sich am Flachwasser-Spot der Insel auf. Dennoch zollte ich den Beiden höchsten Respekt, schließlich war es auch so nicht ohne, in Schottland im November surfen zu gehen.

Wir verabredeten uns für den nächsten Tag, da ein gemäßigter Spot zu Laufen schien und mit der Aussicht nicht alleine aufs Wasser zu müssen, besserte sich meine Laune wieder.

Am nächsten Tag hatte ich etwas Zeit, kündigte sich der Wind erst für den Nachmittag an. Diesmal aber aus westlicher Richtung, was einen anderen Spot fahrbar machen würde. So stand ich kurz darauf auf einer Düne und blickte auf den Spot, der anders als The Maze, direkt vor mir lag. Noch hatte der Wind nicht gedreht, aber die Wellen waren schon beeindruckend. Kurze Zeit später kamen auch die Schweizer an und wir warteten auf den Wind. Dieser kam auch mit Macht, drehte aber einen Ticken zu weit und die Sideon-Bedingungen machten den Spot mit seinen druckvollen Wellen für die Schweizer unfahrbar.

Für mich wäre der Spot im Normalfall absolut fahrbar gewesen, doch war mein Selbstvertrauen nach gestern so angeknackst, dass ich mich nicht traute, alleine wieder bei Vollhack aufs Wasser zu gehen. Zusammen mit den Schweizern fuhr ich in Richtung Gott Bay, der Flachwasserbucht der Insel. Mittlerweile hatten wir nur noch zwei Stunden bis Sonnenuntergang und wir beeilten uns aufs Wasser zu kommen. Da der Wind weiter westlich drehte als vorhergesagt, fanden wir am Spot ideale sideshore-Bedingungen und eine kleine, aber gut geordnete Welle mit circa einem Meter Höhe vor. Ideal für die Schweizer um sich in der Welle zu probieren und ideal für mich, um wieder Selbstvertrauen zu tanken. Genau dies hatte ich gebraucht: Ich genoss die perfekt geordneten kleinen Wellen und das Gefühl nicht alleine zu sein. Wir surften bis in den Sonnenuntergang und riggten erst im Dunkel der Nacht ab. Dank diesen Momenten war ich auf Tiree endlich angekommen.

Ab nun ging es nur noch bergauf: Am Tag darauf stellte ich mich wieder The Maze. Zwar war ich immer noch alleine, aber nun hatte ich vor der Einsamkeit keine Angst mehr. Über eine Stunde surfte ich in wunderschönen 2-3 Meter Wellen ehe meine Arme lang wurden und ich zur Gott Bay wechselte, um noch mit den Schweizern surfen zu gehen. Mittlerweile hatten auch noch zwei Deutsche den Weg nach Tiree gefunden, die ebenfalls in der Gott Bay unterwegs waren und so bildete sich eine lustige Fünfergruppe. So wiederholten sich die Tage und ich fühlte mich endlich erholt und angekommen. Lange hatte ich dafür gebraucht und umso schöner war es nun.

Ich hatte einige schöne Sessions in The Maze, fette Jump-Bedingungen bei Hack in der Gott Bay und auch so genügend Zeit, die Insel zu erkunden. Das Wetter wechselte hier tatsächlich im fünf Minuten-Takt und nach einem kurzen Regenschauer lachte jedes Mal wieder die Sonne. Und wo Regen und Sonne aufeinandertreffen, ist ein Regenbogen meist nicht weit. Tatsächlich sah ich auf Tiree jeden Tag mindestens einen Regenbogen, der die Szenerie vervollständigte.

Insgesamt war das Licht auf der kleinen Insel eh bemerkenswert und ich konnte meiner zweiten Leidenschaft, dem Fotografieren, in vollen Zügen nachgehen.

Einige Tage zogen so ins Land oder besser gesagt über die Insel und ich überlegte, was ich machen sollte. Ich könnte noch länger auf Tiree bleiben oder aber noch Irland einen Besuch abstatten. Für eine Fahrt weiter in Richtung Süden blieb mir leider nicht mehr genügend Zeit. Da ich hier aber weiter Tag für Tag bei epischen Bedingungen aufs Wasser kam, stand ich nicht gerade unter Druck, eine Entscheidung fällen zu müssen.

Dies änderte sich, als ich nach über zwei Wochen einen haushohen Frontloop versaute und mit dem Gesicht aus über 7 Metern Höhe auf den Masten meines Segels knallte: Nasenbeinbruch und das Gesicht sah aus wie nach einer Kneipenschlägerei. Zwar surfte ich die nächsten zwei Tage noch tapfer weiter aber dies war, gepaart mit der nachlassenden Forecast, ein Zeichen Tiree zu verlassen.

So verabschiedete ich mich nach über zwei Wochen von Tiree. Von dieser kleinen Insel, die mir schon im Vorfeld alles abverlangt hatte und es mir auch nach Ankunft nicht immer leicht gemacht hat. Ich hatte unglaubliche Sessions und wundervolle Menschen kennengelernt, auch wenn ich mich nach wie vor frage, wo sich die einheimischen Surfer versteckten.

Nachdem ich wieder Festland betreten hatte, entschloss ich mich, die Heimreise anzutreten. Zwar hatte ich noch eine Woche Zeit, doch hatten mir die bisherigen knapp vier Wochen alles abverlangt und ich sah immer noch aus wie ein Preisboxer. So freute ich mich auf Daheim, welches ich auch bald erreichte.

Ich habe mir wirklich lange Zeit gelassen, diese Artikel zu schreiben und erst beim Schreiben ist mir bewusst geworden, wie viel Tolles und Unglaubliches ich in diesem Urlaub erlebt habe. All die Fotos und Erinnerungen haben mir klar gemacht, dass man sich nicht immer von seinen schlechten Gefühlen leiten lassen soll. Der Urlaub hat mir viel über mich selber gezeigt und ich bin mir sicher: Ich werde wiederkommen…aber dann zu einer anderen Zeit und nicht alleine! ;) Alle Bilder der gesamten Reise findet ihr natürlich in unserer Galerie!