Warum Wing Foil Anfänger keine riesigen Foils mehr brauchen

Ist man in Google oder in einschlägigen Facebook-Gruppen auf der Suche nach dem richtigen Setup für Wing Foil Anfänger, dann ähneln sich die Tipps im Großen und Ganzen sehr (hier mal vereinfacht ausgedrückt):

  • Ein Board mit mindestens 30 Liter mehr als das Körpergewicht
  • Meistens ein 4,5- und ein 6 qm2-Wing
  • Und natürlich ein Anfängerfoil, meistens 1700 – 2200 cm2, eher low aspect

Dieses Setup war zum Beginn des Wing Foilens in 2019-2021, vielleicht auch noch 2022 sicherlich der Schlüssel für schnelle Erfolge und somit auch für langfristige Motivation. Warum sich dies 2024 in Bezug auf das Foil und dessen Größe meiner Meinung nach aber radikal geändert hat und dir ein derartiges Setup mehr schadet als nutzen kann, möchte ich im Folgenden ausführlich erläutern.

Dafür möchte ich jedoch zuerst einmal erklären, wie die damaligen Foils geshapt waren und was sich daraus für Vor- und Nachteile ergeben: Das „klassische“ 2200 cm2-Foil der 2020er Jahre war in der Regel ein extremes Low-Aspect-Ratio-Foil mit viel Volumen und Profil, also Dicke. Dadurch kann ein derartiges Foil besonders schnell Lift generieren und ein Einsteiger hat schnell seinen ersten Erfolgsmoment. Aber genau die 3 Eigenschaften des Foils – viel Fläche, Low Aspect und viel Volumen – sorgen auch genau für jene Nachteile, warum die Foils aus meiner Sicht für Ein- und Aufsteiger nicht wirklich geeignet sind:

Zu niedrige Maximalgeschwindigkeit:
Derart voluminöse Low-Aspect-Foils kommen schnell an ihre physikalischen Grenzen. Durch die hohe Wasserreibung sind die Foils schnell am (niedrigen) Limit ihres Speedpotentials. Nun könnte man sagen, dass dies ja egal ist, man möchte als Anfänger ja fliegen und nicht rasen, doch führt dies zu einem weiteren Problem…

Hohe Haltekräfte in den Händen und schnelle Ermüdung:
Es dreht sich alles um das Foil und ich schreibe über Haltekräfte in den Händen? Ganz richtig! Das Problem mit den klassischen Einsteigerfoils der 20er-Jahre ist, dass deren Speedlimit deutlich unterhalb des Speedlimits der Wings befindet. Sprich, dein Wing will schneller, dein Foil kann aber nicht! Dadurch zieht einen der Wing unablässlich nach vorne und man muss dies entweder mit hohem Kraftaufwand in den Händen kompensieren und ist entsprechend schnell müde oder aber man fährt mit dem Wing derart neutral und offen, dass eine wirkliche technische Weiterentwicklung nicht möglich ist.

Kaum Glide:
Der dritte große Nachteil dieser Foils hat ebenfalls etwas mit dem Geschwindigkeitslimit, beziehungsweise der Bauweise des Foils zu tun. Durch die schiere Größe des Foils sowie des Volumens, bremst es unter Wasser auch entsprechend schnell ab. Das gibt dir als Ein- oder Aufsteiger kaum genügend Zeit, beziehungsweise Glide, um dich in den Manövern auf die richtige Technik zu konzentrieren.

Nicht nachhaltig:
Die oben beschriebenen Probleme führen dazu, dass bisher Einsteiger einem solchen Foil schnell entwachsen sind. Zwar stellen sich die ersten Erfolge rapide ein, doch will man sich dann verbessern, ist zeitnah der Wechsel auf ein kleineres Foil erforderlich. Das merkt man im Geldbeutel, kosten selbst gebrauchte Foils noch einige hundert Euro.

Die Lösung:

Die Probleme mit diesen Foils bestanden schon immer, doch waren sie bisher zum Erlernen unentbehrlich oder besser gesagt alternativlos. Zur Zeit schreitet aber die Entwicklung derart schnell voran, dass man mit neuem Material all den oben beschriebenen Problemen easy aus dem Weg gehen kann. Dies möchte ich am Beispiel eines speziellen Foils verdeutlichen, dem Neilpryde Glide Swift. Das Foil kam neu für die Saison 2024 auf den Markt und wurde zusammen mit dem America’s Cup Designer Nils Rosenblad (eingefleischte Windsurfer kennen sicherlich noch seine beliebten Neilpryde „NR“-Segel) entwickelt. Das Foil gibt es in Größen von 600 cm2 für Könner bis 1450 cm2 für Anfänger und Einsteiger…..ganz richtig, 1450 cm2 ist die maximale angebotene Fläche und damit weit von den Größen bisheriger Einsteigerfoils entfernt. Doch wie ist das möglich?

Das „newschool“ Glide Swift vor einem „oldschool“ Glide Surf. Die Unterschiede stechen sofort ins Auge!

Das Neilpryde Glide Swift vereint einige interessante Designansätze in sich: In der Mitte um die Aufnahme der Fuselage ist das Foil vergleichsweise dick und voluminös, was viel Auftrieb und somit Lift erzeugt. In Richtung der Tips, also der Spitzen der Foils, dünnt das Foil zunehmend aus, das reduziert Wasserwiderstand und somit den Drag. Anders als bisherige Einsteiger-Foils ist das Foil eher ein High-Aspect-Foil mit geschwungenen Flügeln.

Da die Shaper die physikalischen Wirkweisen eines Foils mittlerweile immer besser verstehen, können klassische Design-Elemente so wie im Fall des Neilpryde Glide Swifts immer besser und zielorientierter miteinander kombiniert werden. Dadurch können bisherige Schwächen ausgemerzt und Einsatzbereiche deutlich erweitert werden. So erzeugt das neue 1450er-Swift-Foil genau so viel Lift, wie ein 3 Jahre altes Glide-Surf-Modell von Neilpryde mit knapp 1900 cm2 und et voila…auf einmal ist man (rechnerisch) in einer gewohnten Foil-Größe, ohne all deren Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Der Größenvergleich zwischen dem Glide Swift und dem bisherigen Glide HP verdeutlicht die erläuterten Unterschiede

Das Gute daran: Die neuesten Foils erzeugen unglaublich viel Lift, ohne aufgrund der geringeren Größe aber die oben beschriebenen Nachteile mit sich zu bringen. Was bedeutet dies also auf dem Wasser?

Die Foils der neuesten Generation erzeugen aufgrund des geringeren Volumens eine deutlich höhere Geschwindigkeit. Das bedeutet also, dass Haltekräfte am Wing signifikant reduziert werden. Ich hab selber das Neilpryde Glide Swift in 1450 cm2 gegen das alte Foil meiner Frau, ein 3 Jahre altes GA Hybrid HP mit 1750 cm2, zum Vergleich gefahren. Mit dem Swift bin ich bei gleichen Bedingungen im Durchschnitt über 10 km/h schneller! Diese 10 km/h hat man früher als Haltekräfte am Wing greifen müssen, anstatt dass nun wie jetzt der Wing entspannt „mitfliegt“. Das folgende Schaubild soll dies noch einmal sinnbildlich veranschaulichen. Dazu kommt, dass die neuesten Foils deutlich mehr Glide haben, also länger ohne Windunterstützung durch das Wasser gleiten. Dies macht das Erlernen von Foil-Manövern wie die Halse um ein Vielfaches leichter.

Und dadurch, dass ein derartiges Foil in den wichtigsten Fahreigenschaften um Welten vor den klassischen Einsteigerfoils liegt, ist der Kauf auch deutlich nachhaltiger, da man für sehr lange Zeit Spaß auf dem Foil haben kann. So nutze ich das 1450er Swift-Foil auch bei entsprechenden Leichtwindbedingungen und kann damit unglaublichen Spaß in gefahrenen Manövern haben.

Der Praxistest

Nun ist es berechtigt zu sagen, dass ich als „Semi-Pro“ natürlich leicht rede, wenn es um Einsteiger- und Aufsteigerfoils geht. Daher hab ich meine Frau zu einem Test verhaftet. Sie hat vor Kurzem mit dem Foilen begonnen und hatte mit dem oben erwähnten GA-Foil die ersten kurzen Flüge. Tatsächlich fehlte ihr auf dem Foil aber immer das letzte Quäntchen an Kontrolle und die Sessions waren meistens nach einer halben Stunde aufgrund der Ermüdung der Hände (Haltekräfte!) beendet. An durchgefoilte Manöver war noch lange nicht zu denken.

Nun habe ich meiner Frau das Neilpryde Glide Swift in 1450 cm2 unter ihr gewohntes Board geschraubt und ihre Erfahrungen sprechen für sich: Trotz der um genau 300 cm2 kleinereren Fläche, kam sie auf Anhieb mit dem Foil leichter und kontrollierter aus dem Wasser, als mit ihrem alten Einsteigerfoil. Die Haltekräfte an den Händen verschwanden beinahe vollständig und so dauerten die Sessions direkt mal 1,5 bis 2 Stunden. Und gerade als Ein- und Aufsteiger ist Zeit auf dem Wasser das A und O um sich zu verbessern. Das Interessante: Für sie fühlte sich das Swift-Foil langsamer an, als das GA-Foil, was nicht der Realität entsprechen kann. Da sich für sie aber die Kontrollierbarkeit und Berechenbarkeit des Foils aber deutlich verbessert hat, vermute ich, dass dieser Eindruck daher rührt, da sie nun nicht mehr mit dem Foil kämpfen muss, sondern es wohldosiert durch das Wasser steuern kann.

Auch wenn dies natürlich keine repräsentative Erhebung ist, sprechen die Ergebnisse für sich und ich habe meiner Frau gleich ein eigenes Neilpryde Glide Swift Foil geschenkt. Happy Wife, happy Life eben! ;)

Was also kaufen?

Doch was bedeutet das nun für euch, wenn man vielleicht gerade mit dem Wingen beginnen will oder sich nach dem ersten, eigenen Material umschaut? Generell lohnt es sich aus meiner Sicht, in neues Equipment aus 2023 oder 2024 zu investieren. Der langanhaltende Fahrspaß und die Fortschritte darauf werden es auf jeden Fall wert sein. Nun hat aber natürlich nicht jeder das Budget, sich ein nigelnagelneues Foil für über 2000€ zu besorgen. Doch auch in diesem Fall ist Abhilfe schnell geschaffen: Das neue Neilpryde Glide Swift Foil ist beispielsweise vollständig mit den bisherigen Pryde-Foils kompatibel. So könnt ihr euch kostengünstig einen gebrauchten Mast und eine Fuselage organisieren und upgraded euer Foil dann mit den neuesten Front- und Backwings. Spätestens ab Herbst diesen Jahres werden diese Foils vermutlich auch schon auf dem Gebrauchtmarkt zu finden sein.

Neilpryde Glide Foils sind vollständig auf- und abwärtskompatibel

Solltet ihr dennoch auf Nummer sicher gehen wollen und euch bewusst für ein oldschool Flügel entscheiden, achtet auf jeden Fall auf eine volle Kompatibilität von Mast und insbesondere Fuselage mit den newschool Flügeln der entsprechenden Marke (Neilpryde ist beispielsweise komplett auf- und abwärtskompatibel). So müsst ihr bei Fortschritten nur den Frontflügel nachkaufen und könnt Mast und Fuselage weiterverwenden.

Bedenkt dabei aber bitte Folgendes: Gerade bei Foils kommt es immer sehr individuell auf eure harten Fakten, vor allem Statur und Gewicht an. Diese Parameter kann ich hier in meinem Blog natürlich nicht berücksichtigen. Mein Artikel ersetzt also sicherlich keine kompetente Beratung in einem Surffachgeschäft (wie Surftools zum Beispiel), die mit euch im Gespräch das ideale Foil für euch finden werden!

Die selben Prinzipien gelten übrigens auch für Fortgeschrittene…

In meinem Artikel habe ich mich nun sehr auf Einsteiger-Foils fokussiert, aber per se gelten die selben Argumente und Mechanismen auch für fortgeschrittene Fahrer. So fahre ich mittlerweile mehr als 95% meiner Sessions auf einem 800er-Swift-Foil, bei wohlgemerkt 90 Kilogramm Kampfgewicht und dies bei Wind von ca. 12 bis knapp 35 Knoten. Damit genieße ich den Lift eines „alten“ 1100er-Foils und mache mir dennoch alle Vorteile des kleinen Flüges zu Eigen!